Wenn Du eine Superkraft wählen könntest, welche wäre das? Einen Bizeps wie Hulk, die Fähigkeit zu Fliegen à la Superman oder doch lieber Thors Göttlichkeit? So verlockend jede einzelne von ihnen klingen mag, ich würde keine von ihnen wählen. Viel eher möchte ich die Gabe besitzen, niemals mich selbst verlieren zu können. Niemals zu vergessen wer ich wirklich bin, mir ewig treu und die Person zu bleiben, die mich meine Familie gelehrt hat zu sein: ehrlich, optimistisch, zielstrebig, eine Spur zu laut und vor allem aber eines – frei. Frei von der Meinung anderer, gesellschaftlichen Konventionen, dem Unmöglichen und insbesondere aber unabhängig von anderen Personen zu sein. Hauptsächlich letzteres ist genauso tückisch wie das Einfädeln aufgefusselten Garns durch ein Nadelöhr. Sich von jemanden abhängig zu machen ist ein schleichender Prozess, den ich meist freiwillig zulasse, ohne dass ich es bewusst wahrnehme. Wenn ich es schließlich begreife, stehe ich schon knietief in der Patsche. Diese Patsche ist so tief wie der Schlick um meine Waden, als ich mit meiner Schwester im Nordseeurlaub durchs Watt gestiefelt bin und wir uns an den ganzen Muscheln die Füße verletzt haben. So wie damals das Antiseptikum auf unseren Wunden brannte, so sehr brennt die Erkenntnis auf meiner Seele heute und kratzt an meinem Stolz. Mich selbst für jemanden anderen zu verlieren ist das Schlimmste was passieren kann und gleichzeitig mein größter Vertrauensbeweis. Aber wie das mit den Vertrauensbeweisen oftmals so ist, sind sie einseitig, weshalb ich immer wieder knietief in dieser unangenehmen Schlick-Sache stecke. Einzusehen, dass jemand nicht die Person ist für die ich sie gehalten habe ist zum einen erschreckend, zum anderen lässt es mich aber auch an mir selbst zweifeln. Ist meine Menschenkenntnis ernsthaft so schlecht, oder werden die Personen nur immer bessere Schauspieler? Das Vorgaukeln von Gefühlen oder gar seinen wahren Charakter zu verbergen scheint der neueste heiße Scheiß geworden zu sein, der irgendwie an mir vorbeiging. Wann hörten diese Menschen auf sie selbst zu sein und fingen damit an, das Leben als ein GZSZ-Casting zu sehen?

Authentizität, Persönlichkeit, Mut, Empathie, Güte und Ehrlichkeit – das sind die Dinge, die das Leben lebenswert gestalten, die die Welt bereichern und einen Menschen zu einem wunderbaren, starken sowie liebenswerten Geschöpf machen. Das sind doch die Superkräfte, auf die es letztendlich ankommt. Wenn ich einen Fake will fahre ich auf den Bazar und kaufe mir dort eine „originale Fälschung“, die noch falscher als so manches verschmilztes Grinsen oder leeres Wort ist. Denn letztendlich schleicht sich, nachdem ich mit meiner rosaroten Brille nichts mehr erkennen konnte, eine Erkenntnis in meinen Kopf: Du bist ein noch größerer Fake als meine „Michael Kors“-Tasche aus dem letztem Türkeiurlaub. Viel lieber wäre mir aber die alte Ledertasche, die handgefertigt wurde, Gebrauchsspuren aufweist und an der jeder Kratzer eine Erinnerung ist – eben ein echtes Original.