Sie fehlt mir schmerzlich – die Zeit, als die Matheklausur bei Herrn Kämmerer meine größte Hürde war. Mittlerweile vermisse ich selbst Herrn Kämmerer. Wenn ich es mir so recht überlege wäre neben Mathematik auch ein Fach à la „Realität“ hilfreich gewesen. Allein bei der Auseinandersetzung mit Stromanbietern oder Rentenversicherungen bekomme ich Schnappatmung. Wer zur Hölle soll denn da bitte durchsteigen? Es gibt gefühlte 10.860 Stromanbieter, mit so viel Kleingedrucktem im Vertrag, dass der Eindruck entsteht, man unterschriebe einen Vertrag mit dem Teufel. Es ist offensichtlich, dass ich heillos überfordert bin. Überfordert mit der Verantwortung, mit den vielen Entscheidungen und dem Organisieren. Ich habe aber auch schlichtweg keine Lust, mich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Als Kind habe ich mir das Erwachsensein in schillernden Farben ausgemalt: Hier ein Treffen mit den Freundinnen, da eine Party und der Rest erledigt sich sowieso von alleine. FUCK OFF! Ich will wieder nackig und mit Wasserfarben bemalt auf dem Hof rumrennen, mir die Knie aufschlagen und heulen ohne Ende. Will meinen Uropa um den Finger wickeln, um Süßigkeiten zu ergattern und die Treppe im alten Haus runterfallen, wo Oma mich am Ende wieder auffängt. Genau jetzt stürze ich die Treppe runter, ohne das mich jemand auffängt. Ich muss mir meine Süßigkeiten alleine kaufen und wenn ich heule, gucken alle komisch. Erst recht, wenn ich nackig und mit Wasserfarben bemalt im Hof rumrennen würde. Kacke!
Ich bin schon immer ein Mensch gewesen, der sich um alles Gedanken macht. Sei es noch so nichtig und klein – ich zermartere mir das Hirn darüber. Manchmal bin ich genau das leid. Diese ständige Sorge um die Arbeit, die Beziehung oder finanzielle Belange lässt mich wünschen, meine Verantwortung ganz einfach abzugeben. Mal wieder ohne TKKG einzuschlafen, weil die eigenen Gedanken noch schneller als jedes Kettenkarussel durch den Kopf kreisen. Erst jetzt wird mir bewusst, wie wertvoll meine Kindheit und Teenagerzeit war. Wie unbeschwert ich den einen Fuß vor den anderen setzte und wie glücklich ich mich schätzen konnte, jeden Tag eine warme Mahlzeit serviert zu bekommen.
Umso älter ich werde, desto mehr Erwachsenenkram muss man bewältigen. Mit jedem weiteren Lebensjahr fällt eine neue Last auf meine Schultern für die ich noch nicht bereit bin. Meine Muskulatur ist mickrig – ich wünschte, es wäre anders, aber so sieht es nun einmal aus. Also habe ich meine Mühen damit, die Lasten zu tragen. Es ist zu einem Drahtseilakt geworden, bei dem ich heftig mit meinen Armen wedle, um das Gewicht auszugleichen. Sie fehlt mir schmerzlich – die Zeit, als die Matheklausur bei Herrn Kämmerer meine größte Hürde war.