Viele Frauen haben diese besondere Art an sich. Mit dieser Art können sie Mini-Menschen begeistern und sich selbst auch von ihnen begeistern lassen. Sie sehen etwas in ihnen, das andere nicht sehen. Ich zum Beispiel. Besonders als Teenager und mit Anfang 20 waren Kinder Fremdkörper für mich. 

Die Zeit hat mir mittlerweile ein Lebensalter geschenkt, das weiter von der 20 als von der 30 entfernt ist. Umso näher ich dieser Zahl komme, desto lauter wird diese zarte Stimme in meinem Kopf, die sich beim Gedanken an Mini-Menschen überschlägt. Es ist schön zu sehen, dass ich mich langsam dorthin entwickle, was ich selbst als „Erwachsen sein“ definiere. Dennoch ist die Stimme der Verunsicherung lauter. Denn mit dem Gedanken, dass Kinder ja doch irgendwie ganz ok sein könnten, eröffnen sich mir auf einmal vollkommen neue Möglichkeiten. Dass ich unverhofft schwanger werden könnte, fühlt sich nicht mehr wie ein Hammerschlag an, sondern nur noch wie ein dumpfer Hieb in die Magengrube. Er löst noch immer Unbehagen in mir aus, wirft mich aber nicht mehr völlig aus der Bahn. 

Meine Schwester war da immer etwas anders. Sie ist diejenige, die die anfangs erwähnte „besondere Art” hat. Für sie war jeher der Gedanke, eine Mutter zu werden, der Zenit der Glückseligkeit. Für dieses Selbstvertrauen bei einer solchen verantwortungsvollen Aufgabe, bewunderte ich sie seitdem sie das erste Mal babysittete. Während sie auf die Kinder anderer aufpasste, spielte ich „Die Sims“. Ich sah uns immer als Gegensätze, die grundverschieden sind und unterschiedliche Ziele im Leben anstreben. Sie die Mutterschaft – und ich eine erfolgreiche Karriere. Mittlerweile frage ich mich aber, ob an den Vorstellungen meiner Schwester nicht doch etwas dran sein könnte. 

Dieser Gedanke wuchs im August 2018. Der Monat, in dem ich erfuhr, dass ich eine Tante werde und meine Schwester ihre letzten Stufen hinauf zum Zenit der Glückseligkeit erklimmt. Das war der Punkt, an dem ich uns nicht mehr als Gegensätze sah, sondern als eine Einheit, die noch stärker miteinander verbunden ist als zuvor. Es fühlte sich just so an, als seien ihre Schwangerschaftshormone auch in meinem Körper. Meine Gedanken überschlugen sich. Freude, Zweifel, Angst, Glück und Liebe – so unendlich viel Liebe. Nie hätte ich gedacht, dass man für einen winzigen Eizellenklumpen, gerade so groß wie eine Sprotte, so viel Liebe empfinden könnte. Doch ich tat es. Mittlerweile ist aus der Eizelle ein richtiger Mensch geworden, mit zehn Fingern, die nach mir greifen und zwei Augen, die die Welt erkunden wollen. Man sagt immer, dass die Mutterliebe eine Liebe sei, die man nicht in Worte fassen könne. Nunja, die Tantenliebe spielt da in einer ähnlichen Liga. 

48 cm haben innerhalb eines Tages das komplette Leben zweier Familien auf den Kopf gestellt. Auf einmal war da ein Band, das uns alle für immer vereint und näher bringt. Auf einmal ist da eine kleine Sprotte, dessen Charakter man noch nicht kennt, aber sie schon jetzt bedingungslos liebt. Ist es nicht verrückt, dass man ohne diesen Menschen zu kennen, schon bedingungslose Liebe empfindet? Unglaublich wie sehr ein kleiner Mini-Mensch so viel Wertigkeit in das Leben vieler bringen kann. Ich glaube, dass meine Schwester dieses Geheimnis schon immer kannte, es mir aber nicht verraten hat. Ich musste es erst selbst herausfinden, um meine Angst abzulegen und mit positiven Gefühlen diesem Gedanken begegnen zu können. Mittlerweile ist der Gedanke an Kinder, und hiermit meine ich nicht meine eigenen, sondern generell, ein guter Bekannter. Ich habe  noch immer eine Heidenangst, etwas falsch zu machen. Aber glücklicherweise klopft da zum einen ein gewisses Selbstvertrauen an, das mir sagt, dass schon alles irgendwie gut gehen wird und zum anderen ist meine Schwester an meiner Seite, die mir die Zuversicht schenkt, weiterhin zu wachsen.