Das ist eigentlich ganz easy zu beantworten: Julia. Auch wenn man Personen fragt, die mich kennen, können sie sicherlich schnell eine Antwort darauf geben. Aber umso mehr ich darüber nachdenke, desto kniffliger wird es. Denn eigentlich gibt es nicht nur eine Julia, sondern viele verschiedene Versionen meiner selbst. Das klingt jetzt etwas nach Schizophrenie, ist es aber nicht. Es ist vielmehr, dass man im Prozess des Erwachsenwerdens sich weiterentwickeln muss, um voran zu kommen. Klingt logisch, oder? Manche dieser Julias sind mir mittlerweile tatsächlich etwas fremd geworden, da ich mich nicht mehr mit ihnen identifizieren kann oder will. Von anderen Versionen kann ich mir aber noch eine Scheibe abschneiden, da sie mutig und selbstbewusst sind. Auch wenn mir die ein oder andere Julia sympathischer als die andere ist, ist jede einzelne ein elementarer Teil von mir. Nur so lerne ich über mich hinauszuwachsen.
Mit den Jahren habe ich ein paar Julias kennenlernen dürfen. Über manche kann ich heute schmunzeln oder aber auch den Kopf schütteln. Andere sind enge Vertraute geworden, die mich jeden Tag begleiten und mich mehr über mich selbst lehren lassen.
Es gibt beispielsweise die Julia, die meine Familie und engsten Vertrauten kennen. Das ist meines Erachtens nach die ehrlichste Version von mir. Dieser Julia ist die Meinung der anderen sowas von egal und kann sich fallen lassen. Im Kreise ihrer Liebsten ist sie schwach, weil sie keine Angst haben muss für ihre Schwäche verurteilt zu werden. Sie läuft mit Fett-Haaren und Pickel-Gesicht herum. Macht sich schlichtweg angreifbar. Trotz dessen kann sie sich in jeder einzelnen Sekunde sicher sein, dass niemand sie verletzten wird, denn sie ist von der Liebe ihrer Lieblingsmenschen umhüllt. Wenn ich eines unbedingt möchte dann, dass ich mir diese Julia auf ewig bewahren und in mir tragen möchte.
Dann gibt es da noch die Julia, die ich während der Schulzeit und des Studiums war. Nach außen hat sie viel her gemacht: Sie war selbstbewusst, unverletzlich, mit sich selbst im Reinen und zufrieden. In der Retrospektive muss ich sagen, dass ich der wohl größte Scherz überhaupt war. Ich suchte andauernd nach Bestätigung. Wollte immer die Beste sein, ohne es jemals zu schaffen. Diese Julia konnte nie für sich selbst einstehen oder sich verteidigen, wenn man sich mal wieder auf ihre Kosten amüsierte. Letztendlich konnte sie es sich damals selbst nicht recht machen und verzweifelte daran. Heute möchte ich dieser Version sagen, dass die Meinung der anderen wurst ist und man nicht einander messen sollte. Dass es auf einen selbst ankommt und nicht darauf, ob irgendein Typ dich gut findet. Letztendlich ist das die Julia, von der ich mich heute am meisten entfernt habe.
Eine weitere Julia ist die vor dem 26. Oktober 2016. Nach diesem Tag durfte ich erfahren, wie wundervoll es sein kann, ein C-Körbchen zu tragen und nicht mehr auf einen Körperteil reduziert zu werden, mit dem ich mich nie identifizieren konnte. Diese Julia war unsicher. Schrecklich unsicher. Konnte nie mit Kritik umgehen und hat diese stets persönlich genommen. Sie hat Sprüche im ersten Moment geschluckt und später auf der Toilette geheult. Nichtsdestotrotz war diese Julia aber auch mutig, denn sie hat die Entscheidung getroffen, etwas an dieser Situation zu ändern. Das ist die Version von mir, die ich nie wieder sein möchte – von der ich mir aber dennoch bewahren will, auch weiterhin konsequent zu sein und manchmal wichtige Entscheidungen zu treffen.
Seitdem ich angefangen habe zu arbeiten, gibt es noch die professionelle Version von mir. Wow, das klingt als sei mein Arbeitsplatz direkt auf der Davidstraße in Hamburg. Was ich aber eigentlich meine ist, dass ich geschäftlich eine ganz andere Person bin. Dann bin ich souverän, selbstbewusst, charmant und stehe für mich selbst ein. Als ich anfing zu arbeiten wunderte ich mich immer, wenn ein Kunde meine Empfehlung annahm und auch befolgte. Es fiel mir anfangs etwas schwer, mich in die Rolle einzufinden, aber mittlerweile weiß ich, dass ich mich auf mich selbst und mein Wissen verlassen kann. Von dieser Julia kann und will ich noch besonders viel lernen.
Jede dieser Versionen ist ein Teil von mir und macht mich zu dem Menschen, der ich heute bin. Auch wenn ich mich nicht mehr zu hundert Prozent mit der ein oder anderen Julia identifizieren kann, hat sie dennoch dazu beigetragen, dass ich daraus gelernt habe und weiter voran gekommen bin. Denn nur so schaffe ich es, irgendwann einmal „erwachsen“ zu sein.